Las Médulas - Sobradelo

Ich habe gelesen, der Sonnenaufgang über den Las Medulas soll besonders schön sein, also starte ich früh mit nur - aber immerhin! - einem in der Mikrowelle aufgewärmten Kaffee im Bauch und mache noch einen Abstecher zu einem anderen Aussichtspunkt, aber leider steht da keine Sonne, die aufgeht. Das heißt, aufgehen tut sie schon, aber leider hinter dicken Wolken. Aber das ist nicht schlimm, denn die Felsen sind für sich schon gnadenlos schön.

 

Der Weiterweg führt eine ganze Weile am Tal Valle de Valdebría entlang und ich stupfel und stupfel und ... komme langsam auf diesem Camino an. Bei mir dauert es ja immer etwas länger - innerlich und äußerlich. Bis hierher war ich, wie am Anfang jedes meiner Caminos, nur ein altes Weib mit Rucksack auf dem Buckel. Hier merke ich, wie die Anspannung von mir herunterrutscht, die Knoten sich lösen, ich dieses ... Gefühl bekomme.

 

Ich behaupte von mir, dass ich immer Pilger bin, auch Zuhause, weil das einfach so in mir drin steckt. Man stellt sich als Pilger nicht eben mit dem Rucksack in die Ecke und wartet auf den nächsten Weg. Aber ein Pilger zu sein oder ein Pilger, der pilgert, also ein Pilgerer, das sind zwei verschiedene paar Wanderstiefel.

 

Meine erste Station für heute ist Puente de Domingo Flórez, wo ich gleich in die erstbeste Bar einfalle, bevor ich mit der Brücke über den Sil von der Comarca (so etwas wie bei uns der Landkreis) El Bierzo in die autonome Gemeinschaft (vergleichbar mit Bundesland) Galicien wechsele. Ich bin total aufgeregt und freue mich. Ich mag Galicien! Irgendwie hatte ich auch erwartet, dass da wenigstens irgendwo ein Schild steht, aber ich werde nur von einem Umspannungswerk begrüßt, was nun nicht wirklich berauschend ist. Hm. Na gut, dann eben nicht.

 

 

Ab Quereno, das direkt auf der anderen Flussseite liegt, folgt der Camino immer der Eisenbahntrasse durch das Tal des Sil. Ganz ehrlich? Sooo schön ist die Strecke nicht. Unterwegs gibt es auf der anderen Flussseite zwei Schieferwerke, die ziemlich laut zu mir herauf dröhnen, und immer an den Gleisen lang ist jetzt nicht sooo der Bringer ... aber auch nicht wirklich hässlich. Ich habe fast immer einen guten Blick auf den Fluss und wenn ich mir Bahntrasse, Nationalstraße, Werke und alles andere wegdenke: Schöngucken und Schönreden macht schön, man muss sich halt nur auch manchmal ein bisschen Mühe geben.

 

 

 

In Pumares frage ich nach einer Bar und bekomme die Antwort: Hier nicht, aber ganz bald. Ganz bald ist allerdings seeeehr abhängig davon, ob man den Weg mit dem Auto fährt, oder ob man mit einem dicken Rucksack auf dem Buckel zu Fuß unterwegs ist. Hm.

 

Geht es euch nicht auch so: Wenn mich jemand zu Fuß nach dem nächsten Ort fragt, schaltet mein Hirn automatisch auf Navigation mit dem Auto. Freilich kenne ich auch die Fußwege, aber die kann ich ganz schlecht beschreiben, weil ich halt so gehe, wie ich es sehe. Ich orientiere mich an Bäumen, Hochständen, Pfosten, aber das machen meine Augen, ohne dass mein Kopf das als Worte in meinen Mund transportieren kann. Wisst ihr, was ich meine? Wenn ich da bin, weiß ich einfach, dass ich da abbiegen muss. Und weil ich nun doch auch öfter mit dem Auto oder Roller fahre als zu Fuß zu gehen, ist mein Zeitempfinden anders. Schließlich habe ich nur selten Durst, wenn ich da laufe, weil ich ja daheim getrunken habe. Und glaubt mir: Durst kann ein ganz entscheidender Faktor bei Zeit sein. Frisch getrunken sind 5 km halt 5 km, durstig können die sich aber ganz schön ziehen!

 

 

Weil der Wegweiser nach Nogueiras zeigt, denke ich noch, dass ich vielleicht bei meinen Recherchen unterwegs einen Ort übersehen habe und hoffe ... bis sich herausstellt, dass es sich dabei lediglich um einen zerfallenen Hof handelt, der allerdings wunderschön als Rastplatz hergerichtet würde. So genieße ich unter den Augen einer Madonna einen Apfel und denke mir bei einem Schluck aus meinem Wasserbeutel einfach das Koffein dazu. So geht es auch.

 

Etwas später lege ich mich noch ein bisschen gleich neben der Fahrspur auf ein genähten Stück Grün und gucke den Wolken zu. Plöd ist nur, dass ich so liege, dass ich in das schöne Wetter gucke, während hinter mir, also in Laufrichtung vor mir, dicke, fette Wolken aufziehen. Die sehe ich aber erst, als ich wieder aufstehen. Und sie sehen mich auch und können leider vor Freude über meinen Anblick ihr Wasser nicht halten.

Umso schneller laufe ich und umso schneller erreiche ich Sobradelo. Da sitzt meine Mitpilgerin der letzten Tage schon vor einer Bar und ich beschließe, auch hier zu bleiben. Es ist zwar noch früh, aber dieses Haus ist ganz auf Pilger eingestellt und ich darf sogar meine Wäsche in einem Netz zum Waschen und Trocknen geben. Das ist doch klasse! 

 

Unterwegs hat mich bereits dein Trio von Spaniern überholt, denen ich in den nächsten Tagen immer wieder begegnen werde. Wir haben bis fast zum Schluss mit kleinen Abweichungen die gleichen Etappen. Allerdings gibt es da einen kleinen Unterschied, den ich hier mit ein bisschen Angeberei auf mich selbst herausstellen möchte: Ich trage mein Gepäck, während die Jungs hier jetzt gerade verzweifeln, weil ihre Koffer nicht da sind. Nein, ich habe nichts gegen Menschen, die mit Gepäcktransport pilgern, aber ich muss hier einfach sagen, dass ICH das nicht tue, weil ICH nämlich immer die bin, die geplagt vor sich hinschnauft, während andere leichtfüßig an ihr verbeihüpfen. Hallo! Ich habe auch ein Ego und das knickt immer ein bisschen ein, wenn ich so - schwups! - überholt und zurückgelassen werde! DAS LIEGT NICHT AN MEINEM ALTER, MEINEM ÜBERGEWICHT ODER MEINER MANGELNDEN FITNESS, NEIIIIN, DAS LIEGT DARAN, DASS ICH EINEN RUCKSACK AUF DEM BUCKEL HABE! (Bitte lasst mir dieses kleine Stückchen Ehre und mich in diesem Glauben.)