Lalin -Bandeira

Ich habe früh ausgeschlafen und mache mich ungefrühstückt auf den Weg, weil bis ich eine Bar gefunden habe, die bereits geöffnet hat, bin ich ja fast schon im nächsten Ort ... naja, nach meiner Rechnung jedenfalls.

 

Die gelben Pfeile folgen zunächst einem sehr schönen Wander- und Spazierweg am Fluss entlang und wellen sich dann durchs galicische Hinterland, bis sie auf eine Autobahn stoßen. Das ist ja soweit nicht schlimm, denn der Camino führt bald unter ihr hindurch und .... Und ich bin so stolz, dass ich die kleine Muschel sofort entdeckt habe, und folge ihr, völlig von mir und meinem Scharfblick eingenommen, stur an der Autobahn entlang. Das wird schon bald abbiegen, denke ich, tut es aber nicht. Hm. Ich krame meine Beschreibung heraus. Ich kann mich gar nicht erinnern,  dass da eine Passage war, die so lange an einer Autobahn entlangführte. Davon steht da auch nix. Da steht, unter der Autobahn durch und gleich da. Da steht nix von rechts abbiegen! Also kehrt schwer Marsch! - und das auf nüchternen Magen! - Hallo, mit einem #Bauchfüßler wäre mir das nicht passiert!

 

Die drei Spanier machen es derweil besser, folgen mir nicht und sind - schwups! - an mir vorbei und auf nimmer Wiedersehen verschwunden. Sie wollen heute bis Ponte Ulla, aber dorthin werde ich es sicher nicht schaffen.

 

In A Laxe trifft der Camino de Invierno auf die Via de la Plata und bald finde ich eine Bar, in der eine große Runde anderer Pilger sitzt. Ha! Menschen! Es gibt also doch noch Leben auf dieser Welt!

 

Glücklich stelle ich meinen Rucksack ab, grüße fröhlich und frage, irgendwie muss man ein Gespräch ja beginnen, ob sie von der Via kommen. "Si". ... ... ... Ich setze mich an einen Nebentisch und frühstücke. Die sagen noch nicht einmal Tschüß, als sie gehen. Hm.

 

Meine Lieben, die Via ist furchtbar lang, hat furchtbar lange Etappen, ist furchtbar anstrengend und ich möchte mich auf gar keinen Fall auf eine Stufe stellen mit Menschen, die sie gehen. Das stünde mir nicht zu und ich habe viel zu große Ehrfurcht vor diesen Menschen. Ich bin viel kleiner, mein Weg war wesentlich kürzer, unbedeutender, weniger anstrengend, aber ich bin immerhin auch Pilger, trage die Jakobsmuschel und ... würde mich verdammt noch mal freuen, wenn man mich wenigstens ein bisschen dazugehören lässt!

 

Zunächst bin ich schon ein bisschen traurig, dass ich auch "meine" drei Spanier verloren habe. Wir haben nicht viel miteinander gesprochen, aber irgendwie habe ich mich  immer gefreut, wenn ich ihnen begegnet bin ... und ich glaube, sie auch ein bisschen. - Zumindest haben sie mich wahrgenommen und nicht einfach und, tut mir leid, dass ich das nun doch mal so sagen muss, überheblich ignoriert.

 

Später bin ich nicht undankbar dafür alleine zu sein, denn so kann ich, ohne Angst vor erschütterten Blicken zu haben, das tun, was ich auf der Ponte Taboada am liebsten tun möchte: Mich bäuchlinks auf sie drauflegen und ein bisschen den Geister der vergangenen Jahrhunderte in mich aufsaugen. Fragt mich nicht, wie ich auf diese Idee komme; als ich auf ihr stehe weiß ich nur ganz bestimmt, dass ich das jetzt tun muss. Punkt Und wenn ihr bedenkt, dass sie aus dem Jahr 912 stammt, könnt ihr euch denken, dass es da eine ganze Menge gibt, was ich in mich aufsaugen kann!

 

... und das ganz ungestört! ... naja, zumindest bis ein Fahrradfahrer angerast kommt und vor Schreck fast vom Sattel fällt. Hihihihi, geschieht ihm recht!

 

Nur wenige Minuten später erreiche ich die Igrexa de Santiago de Taboada - für mich DIE Kirche auf diesem Weg.

 

Ich könnte ja nun sagen, dass ich mir diese Kirche anhand meiner Recherchen schon vorher gemerkt habe. Habe ich vielleicht auch, aber als ich sie sehe, weiß ich das gerade nicht mehr. Ich weiß nur, dass in meinem Bauch ein ganz komisches Gefühl ist. So ein bisschen denke ich ja schon, dass ich ja auch nach Ponte Ulla laufen könnte; dann wäre ich weiter in der Nähe der Spanier. Und ich überlege zunächst auch noch, sie als "eine Kirche halt, die wahrscheinlich eh geschlossen ist" links - äh, nein, eigentlich rechts - liegen zu lassen. Aber irgendwie ... geht das nicht. Im Gegenteil, sie zieht mich, aber nicht zu hau und ruck, sondern ich ... schleiche mich ihr schier auf Zehenspitzen an. Das ist ganz komisch und ich kann es jetzt auch gerade gar nicht erklären.

 

 

Meinen Rucksack lasse ich vor der Tür. Irgendwie habe ich das Gefühl, er ist ... nicht ... besinnlich genug für dieses Gotteshaus. Beim Eintreten sitzt links ein Herr an einem PC und begrüßt mich freundlich, aber zurückhaltend. Ich grüße auch, freundlich, aber zurückhaltend, denn für mehr fehlt mir gerade der Atem. Mir ist, als würde diese Kirche mich ... in sich aufnehmen und in ein weiches, warmes Wattewölkchen betten. Wisst ihr, was ich meine? Ich setze mich in eine Bank und sitze da und bin ...

 

Der Herr verschwindet hinten in der Sakristei und ich denke, dass das eine guuute Idee ist, weil ich so ...

 

Er kommt wieder, reicht mir eine riesige Papierserviette, verschwindet nach draußen und lässt mich allein. Später zeigt er mir an seinem Computer ein Foto, das Bar Mar von mir in Facebook gepostet hat, erklärt mir, dass ich mit meinem Kopf gegen die Eingangstüre klopfen muss und als ich gehe, ist uns beiden nach einer Umarmung.

 

So stapfe ich davon und bin froh, dass ich erst einmal nur Wald um mich herum habe, denn diese Kirche ... wirkt bei mir noch eine ganze Weile nach.

Als ich in Bandeira in der Herberge ankomme, bin ich total glücklich, weil ich nicht mehr alleine bin.... denke ich. Tatsächlich ist der Schlafsaal ziemlich gut gefüllt, aber viele Menschen bedeuten nicht, dass man nicht doch einsam sein kann. Sie kommen alle von der Via de la Plata, manche kennen sich, manche haben eine Mauer um sich herum, manche sind irgendwie griesgrämig ... Hm. Das mit einem netten Gespräch unter Pilgern verläuft sich im dämmrigen Halbdunkel eines sehr kalten Raumes - und das meine ich nicht nur, weil es wirklich kalt ist. Hm.

 

Ach, Kinders, ich versteh das nicht: Warum sind Pilger manchmal so ... verschlossen? Gut, ich bin gerade vielleicht ein bisschen übereifrig, was meinen Gesprächsbedarf angeht, aber auch wenn man das gerade nicht ist, kann man sich doch zumindest das eine oder andere freundliche Wort abringen, oder nicht? - Nein, offensichtlich nicht. Plöd.