Sobradelo - A Rúa (Fontei)

 

 

Ich habe in dieser Nacht ganz schlecht geschlafen. Fragt mich nicht, warum. Ich weiß es nicht. In mir war so eine Unruhe, die ich nicht greifen und nicht benennen kann. Trotzdem bin ich morgens putzmunter und mache mich nach einem leckeren Frühstück auf den Weg, der erst einmal mit viel Asphalt beginnt und mich in das Dörfchen Èntoma führt, wo ich den Río Galir auf einer kleinen romanischen Brücke überquere.

 

Éntoma ist ein lustiges Dörfchen, in dem es ganz offensichtlich einen Künstler der Zero-Waste-Bewegung gibt. Überall gibt es kleine Werke aus ausrangierten Garten- und Feldwerkzeugen. Ich mag das!

Nicht so mögen tu ich die Hunde, die mich am letzten Grundstück laut kläffend begrüßen. Aber sie sind hinter einem Zaun, so dass ich mich sicher genug fühle zu denken, dass sie bestimmt die Aufgabe haben, mit ihrem Gebelle böse Geister zu vertreiben, die womöglich an mir kleben. Hallo! Ich bin hier in Galcien, dem terra meiga, dem verhexten Land, durch das, wie man sagt, ja auch die Verstorbenen noch des nachts ihre Spaziergänge machen, da kommt man schon mal auf komische Ideen! - Vielleicht habe ich die aber auch einfach nur, weil ich nach der letzten Nacht ein bisschen schräg drauf bin.

 

 

 

Weiter geht es oberhalb des Flusses Sil und der Landstraße vorbei an einer Cueva, einem Erdkeller, und gehäuteten Korkeichen. Ich bin ehrlich gesagt schon ein bisschen begeistert. Ich habe noch nie nackelige Bäume gesehen!

 

Am Ende geht es dann doch wieder viel weiter unten an der Bahntrasse entlang nach O Barco de Valdeorras und es ist höchste Zeit für ein zweites Frühstück.

 

Hier gibt es übrigens auch eine Herberge, die aber ein ganzes Stück, nämlich mehr als 3 km, entfernt im Norden der Stadt liegt. Ganz dort in der Nähe gibt es auch ein romanisches Monasterio. Aber ganz ehrlich: Wenn ich die Wahl habe, 3 km zu einer Kirche hinzulaufen oder noch eine Tasse Kaffee zu trinken, dann ... Un café con leche mas, por favor!

 

Ich weiß, dass es von O Barco aus einen auch sehr netten Weg nach Villamartín de Valdeorras gibt, weil ich aber nur entweder ihn oder den Camino gehen kann, entscheide ich mich für letzteres. Irgendwie habe ich den daheim am PC auch nicht so wirklich auf die Reihe gekriegt.

 

 

 

An der Flusspromenade muss ich aber schon wieder anhalten und Bäume streicheln. Ich kann nicht viele Stammsteher wirklich zuordnen, aber diese hier würde ich immer und überall erkennen: Sequoien, Mammutbäume, die eigentlich in Nordamerika beheimatet sind. Aber irgendwie haben sie als Samen schon vor langer Zeit auch den Weg nach Europa gefunden; in Deutschland gibt es auch hier und da welche in Parks.

 

Am Ortseingang fällt mir auf, dass ich völlig vergessen habe einzukaufen. Aber das ist ja gar nicht sclimm, weil ich finde sofort noch einen Markt ... in dem mir ein sehr junger und freundlicher Verkäufer auf den Hinweis seiner Kolleginnen, denen ich wohl ein bisschen unheimlich bin, allerdings umgehend wieder den Weg zur Tür weist: Ich bin aus Versehen in einem Großhandelsmarkt gelandet.

Der Weiterweg führt sehr eben und bequem immer am Fluss entlang zu einer Naherholungsanlage, an der eine Senora, die von hinten im Sturmschritt angeprescht kommt, ihr Tempo verlangsamt, um sich mit mir nach Vllamartin zu plaudern: Sie ist auch schon den Camino Francés gegangen, aber mit Freundinnen. Wie, ich gehe ganz allein? - Nein, das würde sie sich niemals trauen. Ob ich keine Angst hätte? Ob mir nicht langweilig wäre?

 

Hört sich total spannend an, oder? Boah, ich unterhalte mich mit einer Spanierin und verstehe genau, was sie erzählt! Ja, tu ich auch, ... aber nur, weil sie Englisch spricht! Und ich genieße es total!

 

Gespräche unter Pilgern sind immer so ein bisschen speziell, anders als andere Unterhaltungen. Man geht selbstverständlich nicht von jetzt auf gleich in die Tiefe, neinneinnein, man bleibt schon auch an der Oberfläche, aber man weiß genau, dass es diese Tiefen gibt und man sie beide gleichermaßen kennt. Es ist irgendwie ganz komisch, eine unsichtbare Verbindung, nicht nur hier, sondern wo auch immer sich Pilger begegnen, man ist sich immer sofort irgendwie nah.

 

Nachdem wir uns getrennt haben, werden mir irgendwie die Füße schwer und ich muss wirklich schon auch ein bisschen die Zähne zusammenbeißen - besonders auf dem letzten Kilometer, der auf einer Straße verläuft, auf der ich mich absolut unwohl fühle. Im Gegensatz zu vielen anderen Straßen fahren hier tatsächlich auch Autos und das auf einer ziemlich kurvigen und unübersichtlichen Strecke. Nee, das mag ich nicht und atme echt auf, als ich um die letzte Ecke zum Ortsanfang komme, schleppe mich noch eben zur ersten Bar und beschließe, dass ich hier angekommen bin. Ich ahne ja nicht, dass das Ort A Rúa seinem Namen alle Ehre macht: Es heißt "An der Straße", nicht "Am Sträßchen", und zieht sich schier endlos in die Länge.

 

 

 

An der Igrexa de Nosa Senora de Fátima (sie soll von Gaudí entworfen worden sein, naja, zumindest mit einer ersten ganz groben Skizze, die es aber tatsächlauch auch nicht mehr gibt, aber guckt doch mal: Es kann schon sein, findet ihr nicht?) endet meine heutige Etappe offiziell. Bis vor kurzem gab es auch ganz in ihrer Nähe eine Herberge, aber die ist (vorübergehend) geschlossen und ich hatte mich unterwegs schon für eine Pension entschieden, zu der ich nun auch erst noch kommen muss. Dabei gibt es genau hier vor der Kirche auch eine Unterkunft, aber wenn ich mich einmal in eine Idee hineinverrenke!

 

Heute ist irgendwie mein Tag der Pilgerbegegnungen, denn prompt spricht mich ein Herr an, wo ich denn übernachten möchte, greift sich dann meinen Rucksackzipfel und führt mich wie einen Ackergaul quer durch den Ort, der noch immer noch lange nicht endet. Dabei erzählt er mir von seinen beiden Caminos ... jeweils ab Sarria, also die letzten 100 km auf dem Camino Francés, die man gehen muss, um eine Compostela zu erhalten. Ich sehe genau, wie die Pilger unter euch ein bisschen genervt die Augen verdrehen: Wenn man vorher schon mehrere Hundert Kilometer unterwegs war, so schön in relativer Ruhe und der Geborgenheit von Menschen, die man vielleicht nicht täglich, aber immer wieder trifft, die einem vertraut sind, ... und dann nach Sarria kommt, wo die Anzahl der Rucksackträger (naja, eher der Turnbeutelträger, weil ganz viele von denen, die "nur" diese letzte Strecke gehen, ihr Gepäck transportieren lassen) schier explodiert, dann ist das schon ... ziemlich ... beeindruckend.

Mein Zügelhalter jedenfalls ist sehr stolz auf seine Leistung und erzählt mir in sicherlich flammenden Farben von seinen Caminos, die ich mir allerdings im Gegensatz zu meiner Unterhaltung vorher nur vorstellen kann, weil er 1. Spanisch spricht und das 2. viel zu schnell. Aber ich glaube, es ist ihm gerade auch gar nicht wirklich wichtig, dass ich ihn verstehe, und ich habe meinen Spaß, obwohl ich ihn nicht verstehe, und brauche mir vor allem nicht meinen Weg zu suchen.

 

Am Ende jedenfalls lande ich einem total luxuriösen Doppelzimmer mit superbreitem Bett und Regenwalddusche und es kostet mich echt Überwindung, es noch einmal zu verlassen, um kurz endlich meine Einkäufe zu machen.